Geschichte, whatever.



Unendlich langsam bewegte sich der Zeiger weiter auf die zwölf zu. Zu langsam als dass er es wahrnehmen konnte. Seine Hände schlossen sich kramphaft um die Lehnen des Sessels.
Zwei Minuten.
Er richtete sich auf.
Der Rücken durchgedrückt. Die Lippen zu einem Strich aufeinander gepresst. Sein Kinn zitterte leicht und kalter Schweiß rann ihm von der Stirn. All seine Muskeln waren bis zum reißen gespannt.
Es war wie jeden Tag. Der gleiche Ablauf. Das gleiche Gefühl.
Sehnsucht
Ungeduld
eine Spur von Angst

So würde er es später benennen.
 Die Luft wurde erfüllt von lauten und vollen Klängen, als die Kirchenglocken zwölf leuteten. Er sprang gehetzt auf, blieb einen Moment stehen um sich rasch umzublicken,was eigentlich nicht nötig gewesen wäre,denn in seiner Wohnung war niemand außer er, und stürzte dann ans Fenster.
Sie war schlecht drauf heute.
Er sah es an der Art wie sie lief. Die Schultern hängend, den Kopf eingezogen. Ihr Blickt ruhte auf dem ständigen Strom aus Asphalt. Hätte er es mit einem Wort beschreiben müssen wäre schildkrötenähnlich wohl am passensten gewesen.
Doch trotz ihrer zurückhaltenden Haltung schien die Erde bei jedem ihrer Schritte vor Verachtung und Bestimmtheit zu beben.
Sie lief den Schmalen Weg entlang, der genau unter seinem, Fenster entlang führte. "Mein Glück!", kicherte er, doch hielt sofort inne, als im bewusst wurde wie verrückt das geklungen haben musste. Der Weg war nass und bedeckt von den orangenen Blättern,der Bäume auf der anderen Seite des Weges,die sie mit ihren schlurfenden Stiefeln beiseite wischte.
Ihr Blick war trüb und doch so anwesend als könne sie damit töten. Sie sah gefährlich aus. Wie ein Raubtier kurz vorm Sprung. Bereit auf alles und jeden loszugehen, der es wagte sich ihr in den Weg zu stellen,auch wenn ihre Haltung auch hier nicht recht hineinzupassen schien.
Sie war so schön, wenn sie wütend war.
Zu schön für diese Welt.
Zu schön für dieses Leben.
Zu schön für ihn.
Die Erkenntnis traf ihn mit voller Wucht, mit all ihrer Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Sie erdrückte etwas in ihm, zunächst konnte er nicht erkennen, was es war, doch bei genaurem betrachten merkte er, dass es die hoffunug war,die langsam starb. Erwürgt  durch diesen einen Gedanken, der so einfach und für ihn doch so unerträglich war.
So unerträglich,  dass  er das  Gefühl hatte, weinen zu müssen. Es erschreckte ihn und machte ihn traurig und wütend zugleich. Er hatte dieses Gefühl schon lange nicht mehr verspürt. Sein Vater hatte ihm diesen Unsinn ausgetrieben.
Männer weinen nicht ! Hast du das verstanden,du elendiges Weichei ?! MÄNNER WEINEN NICHT !
Es war seine Stimme, die sich immer noch hin und wieder in sein Bewusstsein schlich.Sie hatte eine schreckliche Autorität und er konnte die Schläge fast schon spüren, die sie immer wieder mit sich gebracht hatte. Die Stimme war schon immer die mächtigste Waffe seines Vaters gewesen, viel mächtiger noch als seine Fäuste, der Gürtel und die tausend Zigaretten, die sich so schmerzhaft in seine Haut gebrannt hatten. Die Stimme konnte ihm Hoffnung machen, Welten erschaffen und diese noch in der selben Sekunde auf die grausamste Weise wieder zerstören. So wie einmal, als Vater ihm eine Geschichte erzählt hatte. Von einem jungen Mann der glücklich war und ohne viel Geld durch die Lande zog. David hatte die Geschichte gut gefallen. Vater nicht. Als er fertig mit erzählen gewesen war, hatte er ihn an der Schulter gepackt, fest und grob, und ihm tief in die Augen geschaut. Die Wahrheit ist,diese Geschichte ist nichts als erstunken und erlogen. In unserer Welt wäre der junge Mann grausam krepieren. In der Gesellschaft geht es um Macht und Macht erlangt man nur durch Geld. Hast du das verstanden, Sohn ?, hatte er gefragt und David hatte eifrig genickt. Weniger weil er verstanden hatte, sondern viel mehr weil er der Strafe aus dem weg gehen wollte, die ihn bei einer anderen Antwort erwartet hätte.  Sag es!, hatte Vater befohlen und David hatte ihm gehorcht.
Vaters Stimme war sein ewiger Alptraum. Sie hatte ihm alles genommen.
Alle seine unschuldigen Gedanken über die Welt. Alle Hoffnung, alle Liebe. Sie hatte ihn erniedrigt, immer und immer wieder. Und selbst jetzt, wo Vater schon lange unter den Toten weilte- wofür er Gott jeden verdammten Tag dankte- schien er mit seiner Stimme aus dem Grab heraus nach ihm zu greifen. Er hasste Vaters Stimme und er hatte sie schon immer gehasst. Doch so sehr er die Stimme auch hasste, er wusste, dass sie machmal Recht hatte.
Genau wie jetzt.
Und so besann er sich und verdrückte die Tränen, die  ihm die Wangen herunterzurollen drohten. Er hatte schon lange nicht mehr geweint und hatte auch nicht die Absicht es zu tun. Es machte ihn schwach. Und schwach war das was er am wenigsten sein wollte. Schwache Menschen überlebten nicht lange in dieser beschissenen Welt. Auch das hatte Vater ihn unmissverständlich gelehrt.
Nach ein paar Sekunden hatte er sich wieder unter Kontrolle. All seine Konzentration galt  wieder ihr.
Diese Lippen. Sie machten ihn verrückt. Sie waren pefrekt geformt, nicht zu breit und nicht zu schmal. Es sprach der pure Zorn aus der Art wie sie Lippen und Zähne aufeinander presste und dadurch den ganzen Kiefer anspannte.
Sie sah so stark aus.
Dünn und zerbrechlich und trotzdem unglaublich stark. Doch er wusste, das war nur der äußere Schein. In ihr sah es ganz anders aus.
Sie war gebrochen, durch und durch.
Durch alles was sie erlebt hatte.
Das machte sie für ihn noch attraktiver.
Es machte sie beide so gleich.
Es gefiel ihm.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und dieses mal war es ihm egal wie verrückt es aussehen mochte. Ihn sah ohnehin niemand, also wozu sich verstellen ?
Während er sie weiter beobachtete tastete seine rechte Hand nach der Kamera auf dem Fenstersims. Er schoss seine Fotos. Ganz nah nur ihr Gesicht, dann eine Ganzkörperaufnahme. Wie besessen drückte er den Auslöser immer und immer wieder um ja jedes Detail ihrer heutigen Stimmung einzufangen und zu konservieren.
Sie entfernte sich immer mehr. Der wunderschöne Augenblick, das Highlight eines jeden seiner Tage, neigte sich dem Ende zu. Es war unausweichlich und so fand er sich mit einem kurzen seufzen damit ab. Er erhaschte noch einen letzten Blick auf ihre Rückansicht, dann bog sie um die Ecke.
Wieder hatte sie nicht ein einziges mal zu ihm hoch gesehen, und er wusste, sie würde es auch an keinem der anderen Tage tun.
Sie sah nicht gerne zu den Leuten auf ,die in der Rangordnung über ihr standen. Viel lieber betrachtete sie ihre Opfer, die Leute unter ihr, mit einem abschätzigen Blick und spuckte ihnen,wenn sie Lust hatte, auch mal auf den Kopf.
Ohja, er kannte sie gut.
Seine kleine Prinzessin.
Er schloss die Augen und ließ das Bild von ihr in seinem Kopf noch eine Weile nachklingen. Es machte ihn glücklich, sie jeden Tag zu sehen. Glücklicher als er jeh gewesen war.
Die Gefühle, die er für sie hatten waren mehr als nur sexueller Natur. Er war kein perverser Stalker oder anderes dieser Art und er verabscheute diese Wesen !
Er liebte das Mädchen. Er wusste es auf eine unausweichliche Art, genauso wie man wusste, dass sich die Erde um die Sonne drehte.
Er hatte nie Zweifel an dieser Tatsache gehabt, obwohl er nicht einmal wusste wie man Liebe definierte, da er diese nicht gerade oft zu spüren bekommen hatte.
Aber jetzt, seit er sie kannte,wusste er wie sich Liebe anfühlte, auch wenn er immer noch nicht dazu fähig war, dieses einmalige und wundervolle Gefühl, in Worte zu fassen.
Nein, er war ganz sicher nicht eines dieser perversen Schweine.
Und doch war das Verlangen mit ihr zu sprechen, oder sie zu berühren, beständiger und größer als nahezu jeder andere Wunsch, den er im laufe seines Lebens verspürt hatte.
Es gab nur einen Wunsch, der immer größer gewesen war.
Immer.
Es war der Wunsch gewesen, dass Vater starb.
Doch da dieser eine Wunsch sich unerwartet erfüllt hatte, zählte David ihn nicht mehr.
_



Der Wecker klingelte pünktlich um 11 Uhr. David stand auf und machte sich seinen Kaffee. Es war ein Morgen wie jeder andere und doch wusste er, dass etwas anders war.
Irgendwas würde schief laufen. Er konnte es spüren und es machte ihn unruhig. Es ließ ihn tollpatschig und unsicher werden.
Erst verschüttete er seinen Kaffee, dann verbrannte er sich daran.
Genervt suchte er seine Zigaretten, nur um dann festzustellen, dass die Schachtel leer war.
Auch das noch.
Er schaffte es nicht, sich die Socken anzuziehen, weil seine Hände zitterten. "Scheiß drauf!", sagte er laut zu sich selbst und hörte auf,es zu versuchen.  Mit nackten Füßen schlüpfte er in seine Schuhe. Dann schnappte er sich das bisschen Geld, das er 

hatte, und seine Schlüssel und ging aus dem Haus.

Die Leuten blickten ihn alle auf dieselbe merkwürdige Art an. Und er wusste warum.
Er sah beschissen aus.
Seine Haare hingen ihm in fettigen Strähnen in die Stirn und er hatte sich mehrere Tage nicht rasiert. Seine Klamotten waren aufgrund des fehlenden Geldes gammelig und längst schon abgetragen. Außerdem müffelte er. David wusste, dass er nicht hässlich war. Er war einfach ungepflegt und sah keinen Anreiz etwas daran zu ändern. Es gab keinen Menschen auf dieser Welt, für den er sich hätte schön machen müssen. Seine Mutter würde ihn nicht  mehr besuchen kommen und auch sonst kam nie jemand in seine Wohnung. Er brauchte niemandem zu gefallen, wollte nur sein Leben leben, wie er es für richtig hielt.
Das stimmt nicht ganz. Ich will ihr gefallen.
Er schob den Gedanken mit seiner gesamten Willsenskraft beiseite. Er war vollkommen nutzlos. Ihm war genau klar, dass er dem Mädchen niemals persönlich gegenüber stehen würde.  Auch die Traurigkeit die ihn jetzt befiel schob er energisch von sich weg.
Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Er brauchte jetzt unbedingt seine Kippen.
An der Ecke links, die Straße entlang und wieder links.
Da war er. Der Kiosk. Seine Rettung.
Er kaufte seine Zigaretten, die übliche Marke, und schüttelte einmal mehr den Kopf darüber, wie teuer die Dinger geworden waren. Die Kassiererin betrachtete ihn mit einer Mischung aus Ekel, Abscheu und Angst. Sie war hübsch und sofort ließ er die Schultern noch ein wenig mehr sinken. Er lächelte die junge Frau zum Abschied an, doch es hatte nicht den gewünschten Effekt. Sie sah aus als hätte sie jetzt noch mehr Angst.

Er rannte fast nach Hause. Rechts, die Straße entlang, dann rechts um die Ecke. Es war schon fünf vor zwölf und er konnte es sich nicht leisten, ihr über den Weg zu laufen. An dem hässlichen, grauen Hochhaus angekommen,sprintete er die Treppen hoch. Der Fahrstuhl war schon seit einer Ewigkeit kaputt.
Er war nass geschwitzt und völlig aus der Puste, als er schließlich oben ankam. Seine Finger zitterten, was es ihm nicht gerade erleichterte, den Schlüssel in das Schloss zu schieben. Er fluchte lautstark, als ihm der Schlüsselbund aus der Hand fiel.
"Kann man ihnen helfen, Mr. Bright?"
David erschrak heftig, doch die freundliche Nachbarin, dessen Name ihm nicht einfiel lächelte nur. Sie stand schräg hinter ihm und hatte ihn wohl schon eine ganze Weile bei dem erbitterten Kampf mit Schlüssel und Schloss beobachtet.
"Ich... Ich kriege die Tür nicht auf." Seine Stimme klang schrecklich schwach und zittrig und er hasste sich dafür.
"Warten sie, ich versuche es mal."
"Ja. Danke."
Die kleine, pummelige Frau bückte sich nach seinen Schlüsseln und schloss ihm die Tür auf.
Sie lächelte.
"So, das hätten wir." Dann wurde ihre Stimme etwas dunkler und sie raunte :
"Wieso haben wir es denn so eilig?" Sie zog eine Augenbraue in die Höhe, was ihr ein teuflisches Aussehen verlieh. Mrs. Stones,wie ihm in der zwischenzeit eingefallen war,war immer nett und freundlich zu ihm, und da war sie wohl die einzige im Haus, doch ab und an wurde sie ein wenig zu neugierig.
David antwortete nicht auf ihre Frage.
"Nochmal, vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.", er lächelte höflich.
Dann nahm er ihr ein bisschen zu bestimmt die Schlüssel ab und stürmte ins Haus.
Im selben Moment hörte er die Glocken leuten.


Wo war sie ? David stand am Fenster und starrte aud den schmalen Weg. Sein Magen fühlte sich an als sei er 10fach verknotet und Übelkeit überkam ihn.
Sein erster Gedanke war, er musste sie verpasst haben. Doch irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass dies nicht der Grund war. 
Er war doch pünktlich gewesen ! 
Der Glockenschlag hatte ihn auf dem Weg zum Fenster begleitet.
Er war pünktlich gewesen und trotzdem war sie nicht da.
Sie hat es gemerkt !
Panik stieg in ihm auf. Sie hatte es gemerkt . Er war aufgeflogen. Doch wie ? Sie hatte nichtmal hoch gesehen ! Es war unmöglich. Und doch die einzige logische Erklärung.
Sie war nie krank und ihr Vater achtete pinibel darauf, dass sie in die Schule ging.
Er war aufgeflogen.
Es musste so sein. 

Außer...
David wagte es nicht, diesen Gedabken zuende zu denken. Er war zu furchterregend, zu erschreckend, als das er es ertragen konnte. Er schnürte ihm die Luft ab, trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er röchelte und die Übelkeit war jetzt noch presenter als zuvor.
Zitternd übergab er sich auf den Fußboden.
Hustend und keuchend stand er da und starrte auf den Fleck auf dem Boden. In seinem Mund breitete sich der bittere Beigeschmack seines eigenen Erbrochenen aus.
Wankend schlurfte er zur Spüle und nahm einen Schluck Wasser. 
Er war wie automatisiert. Seine Gefühle waren abgeschaltet, wie eingefroren. 
Es war sein alter Schutzmechanismus, den er sich schon in jungen Jahren angeeignet hatte, um die Schmerzen zu ertragen. 
Doch das hier,das war anders. 
Schlimmer als all die körperlichen Qualen. 
Diese Ungewissheit ob es ihr gut ging. Es machte ihn fertig. Und so sehr er auchversuchte seine Gefühle abzuschirmen, sie sickerten immer wieder in sein Bewusstsein. 
Angst und Verzweiflung.
Er bekam die Dämonen nicht aus seinem Kopf. Nichtmal als er so fest an seinen Haaren zog, dass es schmerzte. 
Vor seinem geistigen Auge spielten sich Bilder ab.
Sie lag auf dem Waldboden.
Verletzt.
Oder tot.
Blut überall.
Er zog noch fester, bis er schrie. 
Kurz verschwanden die Versionen. Sie wurden verdrängt durch den Schmerz. Doch dann brachen sie gewaltsamer und heftiger denn je auf ihn ein. Wie eine riesige Flutwelle überschwemmte es ihn und drängte ihn zu Boden.
Sein Atem ging stoßweise.
Mit letzer Kraft zog er sich am Sofa hoch und legte sich darauf. 
Schlaftabletten und Scotch fanden wie von selbst den Weg zu seinen Lippen. 
Der Alkohol brannte in seiner Kehle und er musste husten. 
Was war nur mit seinem Engel passiert ? 
Die Tränen brachen aus ihm heraus wie ein Wasserfall. Sie flossen ohne unterlass und David ignorierte die Stimme seines Vaters, der ihn immer wieder schalt stark zu sein, und weinte, bis ihn der Schlaf übermannt hatte.





- Fortsetzung folgt ! -

4 Kommentare:

  1. Wow, das ist unfassbar gut! Ganz ehrlich? Ich bin süchtig danach weiterzulesen. Du schreibst einfach ausgezeichnet und man bekommt richtig das Gefühl dabei zu sein, das sehen was er sieht, zu fühlen was er fühlt. Das schafft nicht jeder! Ich zum Beispiel schaff' das nicht. Du hast mich wirklich gefesselt! Also von mir ein ganz großes Lob! Ich hoffe die Fortsetzung kommt bald denn ich bin echt gespannt wie es weitergeht!
    Darius.

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  2. Danke,Danke,Danke!
    Ich freue mich echt unglaublich darüber, was du sagst :)
    Ich habe schon handschriftlich weiter geschrieben. Leider finde ich nie die Zeit es abzutippen. Aber ich verspreche, es kommt noch was ;)

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  3. Oh gott, ich will mehr! o:
    das ist so unfassbar gut geschrieben..

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  4. Danke! Mensch meine Zeit reicht nicht :o
    Und ich könnte mich dafür ohrfeigen, aber ich habe schon wieder was neues angefangen...

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